Ich begrüße Sie im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Verleihung des Fritz Bauer Studienpreises für Menschenrechte und juristische Zeitgeschichte 2025.
Ich überbringe Ihnen zugleich die herzlichen Grüße der Ministerin, die wegen einer kurzfristigen Terminkollision zu Ihrem großen Bedauern heute Abend nicht hier sein kann. Sie hat mich gebeten, Ihren Part heute zu übernehmen.
Wir verleihen diesen Preis heute zum sechsten Mal. 2014 hat das BMJV ihn ins Leben gerufen. Und genau heute vor zehn Jahren wurde er das erste Mal verliehen.
Mit dem Preis werden herausragende deutschsprachige Dissertationen des rechtswissenschaftlichen Nachwuchses gewürdigt, die sich mit den Lebensthemen Fritz Bauers beschäftigen.
Zu diesen Lebensthemen – wir haben es gerade im Video gesehen – zählten die juristische Ahndung des NS-Unrechts, die Strafrechtsreform und der humane Strafvollzug und die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und der Grundrechte ganz allgemein.
In diesem Jahr ist der Preisträger des Fritz Bauer Studienpreises Herr Dr. Fatih Kolkilic – für seine Arbeit „Zur Kriminologie des Genozids – Handlungsmuster und Erklärungsansätze“. In seiner Arbeit untersucht Herr Kolkilic verschiedene Genozide des 20. Jahrhunderts auf der System-, der Gruppen- und der Individualebene der Täter.
Dem Preisträger gratuliere ich hier schon einmal sozusagen informell – ich werde es später auch ganz feierlich hier auf der Bühne noch tun. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Arbeiten der Träger dieses Preises immer sehr gut zu den juristischen Lebensaufgaben, die sich Fritz Bauer gestellt hat. Diesmal scheint mir beides wirklich besonders gut zueinander zu passen.
Die eigentliche Laudatio auf Herrn Kolkilic und seine Dissertation wird gleich Herr Dr. Barthe halten, Mitglied der Jury, der besonders berufen für diese Aufgabe ist. Er ist Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof und Richter am Sondergerichtshof für den Kosovo.
Meine Damen und Herren,
ich glaube wir haben es alle gerade beim Anschauen dieses Videos wieder gespürt: Fritz Bauer war eine beeindruckende Persönlichkeit und ist – auch für mich persönlich – ein Vorbild.
Er war geprägt durch den Kampf für die Weimarer Republik.
Als Sohn liberaler jüdischer Eltern aus Stuttgart wurde Fritz Bauer in den 20er Jahren Jurist, trat der SPD bei und schloss sich dem „Republikanischen Richterbund“ und dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ an, dem paramilitärischen Kampfbund zum Schutz der Republik, der gegen Nationalsozialisten wie Kommunisten kämpfte.
Drei Jahre war Fritz Bauer Amtsrichter – der jüngste damals in der Weimarer Republik. Im April 1933 wurde er aufgrund des – perfide so benannten – „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Wegen seiner politischen Aktivitäten kam er in ein Konzentrationslager auf der Schwäbischen Alb, später ins Gefängnis.
Er konnte fliehen und rettete sich ins Exil nach Dänemark und Schweden.
Doch er kam 1949 zurück nach Deutschland, trotz allem.
Und wissen Sie, warum?
Er hat es selbst so begründet: Weil er das Grundgesetz so schätzte, das der Parlamentarische Rat in Bonn formuliert hatte; weil er dieser Verfassung vertraute und ihren Werten als Bürger und als Staatsanwalt dienen wollte.
Er hat damit seinem Land, das ihn verstoßen hatte, ganz persönlich eine zweite Chance gegeben. Und er hat dann zugleich entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland diese zweite Chance genutzt hat – wie Fritz Stern, der große deutsch-jüdisch-amerikanische Historiker es formuliert hat.
Fritz Bauer wollte seinem Land jetzt erst recht etwas geben – ich zitiere ihn – „von dem Optimismus und der Gläubigkeit der jungen Demokraten in der Weimarer Republik, etwas vom Widerstandsgeist und Widerstandswillen der Emigration im Kampf gegen staatliches Unrecht“.
Und das hat er vielfach und erneut unter großen persönlichen Opfern getan – denn viele Deutsche wollten dieses Geschenk nicht annehmen.
Fritz Bauer kämpfte im Westdeutschland der Nachkriegszeit unermüdlich für die juristische Ahndung des nationalsozialistischen Unrechts. Nicht nur die Täter mit „blutigen Händen“, sondern auch jene, die an den Schreibtischen und in den Amtsstuben Schuld auf sich geladen hatten, sollten zur Verantwortung gezogen werden.
Fritz Bauer ist deshalb angefeindet worden. Er stieß auf große Widerstände in der westdeutschen Justiz und Gesellschaft. Nur sehr wenige Juristen in der frühen Bundesrepublik hatten diesen Mut, den Zivilisationsbruch zum Gegenstand der juristischen Aufarbeitung zu machen. Viele waren selbst belastet, waren selbst Täter.
Die in Frankfurt geführten Auschwitz-Prozesse, die er initiierte, bedeuteten für die deutsche Öffentlichkeit eine Zäsur – eine Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und den Verbrechen in diesem Vernichtungslager. Genau darum ging es Fritz Bauer: Auschwitz sollte der Öffentlichkeit als durchrationalisiertes System des Massenmords zuallererst bekannt werden. Gleichzeitig wollte er, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit jedes einzelnen Beteiligten deutlich wird. Denn dieser Massenmord konnte nur deshalb funktionieren, weil viele Räder ineinander griffen.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben und Wirken Fritz Bauers in Erinnerung zu halten. Seit 2019 trägt der Repräsentationshof unseres Hauses seinen Namen. Auch seine Büste steht seit fünf Jahren dort.
Meine Damen und Herren,
Fritz Bauer hat das Recht und den Rechtsstaat mit Leidenschaft und Zähigkeit verteidigt, hat mit all seiner Kraft versucht, ihm zum Durchbruch zu verhelfen.
Und das bringt mich zur Gegenwart. Wir müssen heute wieder kämpfen und verteidigen. Denn Recht und Rechtsstaat, stehen heute wieder unter Druck.
Gewaltenteilung und unabhängige Justiz sind wieder Angriffen ausgesetzt – von Regierungen, die das Recht des Stärkeren propagieren und die Stärke des Rechts Schritt für Schritt abbauen, und von Einzelnen, die immer lauter ihre Verachtung des Rechts kundtun.
Auch bei uns sind heute Gerichte, Richterinnen und Richter hasserfüllter Kritik und Drohungen ausgesetzt. Auch bei uns werden inzwischen Gerichtsurteile unter Berufung auf einen vermeintlichen Volkswillen für illegitim erklärt und Richter und ihre Familien mit dem Tode bedroht, wie jüngst nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin. Das ist absolut inakzeptabel. Wir werden alles uns Mögliche tun, die Richterinnen und Richter, unseren Rechtsstaat insgesamt, zu verteidigen.
Die Lösung in dieser beunruhigenden Situation ist es, Verantwortung zu übernehmen, wie Fritz Bauer das getan hat.
Die Geschichte der zunehmenden Verrechtlichung der Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen den Völkern war bisher eine Erfolgsgeschichte. Aber sie erleidet in unserer Zeit Rückschläge.
Damit diese Geschichte des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit auch künftig eine Erfolgsgeschichte bleibt, müssen auch wir etwas dafür tun. Und trotz Rückschlägen sind wir heute im Vergleich zu der Zeit Fritz Bauers in einer anderen, einer besseren Situation.
Fritz Bauer musste noch hinnehmen, dass Helfer in den Konzentrationslagern freigesprochen wurden. Sie konnten sich damals noch erfolgreich darauf berufen, selbst keinen Vorsatz in Bezug auf das Mordmerkmal des Rassenhasses als niedrigen Beweggrund zu haben.
Das ist heute glücklicherweise nicht mehr so. Seit der Verurteilung des SS-Manns und Auschwitz-Buchhalters Oskar Gröning im Jahr 2015 ist klar, dass auch die Schreibtischtäter für ihr Handeln strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Der damalige Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, der heutige Generalbundesanwalt Jens Rommel, hatte Gröning angeklagt. Und der Bundesgerichtshof hat ein Jahr später die Rechtsauffassung der Behörde Rommels bestätigt:
Für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord reicht es aus, dass man zum Tatzeitpunkt in einem Vernichtungs- und Konzentrationslager Dienst tat und um das Geschehen wusste. Wer sich bewusst zu einem kleinen Rädchen einer Massenmordmaschine macht, ist mitverantwortlich.
Meine Damen und Herren, in einem Genozid-Geschehen wird regelmäßig in perfider Weise gerade versucht, diesen Teil von Verantwortung möglichst klein und wenig fühlbar zu machen. Das ist eines der Ergebnisse der Arbeit von Fatih Kolkilic: Die Genozide, die er untersucht hat, sind möglich geworden auch durch eine Organisationsstruktur, die versucht, die Verantwortlichkeit des Einzelnen für diesen selbst durch Aufgabenteilung scheinbar zu minimieren.
Man stellt sich unweigerlich die Frage: Sind wir rechtlich inzwischen besser gewappnet? Damit werden sich im zweiten Teil der Veranstaltung unsere Podiumsteilnehmer beschäftigen.
Meine Damen und Herren,
ich will abschließend Dank sagen:
der Jury und dem Laudator Herrn Dr. Barthe;
den Podiumsteilnehmern und Teilnehmerinnen;
Herrn Dr. Hosemann, dem Leiter des Pressereferats dieses Hauses, für seine Bereitschaft, erneut zu moderieren;
und nicht zuletzt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Hauses, die diese Veranstaltung nun zum sechsten Mal konzipieren und durchführen.
Sie haben später zur Abrundung noch die Möglichkeit, sich die digitale Fritz Bauer Ausstellung im Fritz Bauer Foyer anzusehen. Es lohnt sich!
Und nun freuen wir uns sehr, dass Frau Dr. Eva Umlauf als neue Präsidentin des Internationalen Auschwitz Komitees einige Worte an uns richtet.
Als Zweijährige haben Sie, liebe Frau Dr. Umlauf das Konzentrationslager Auschwitz wie durch ein Wunder überlebt. Wir sind bewegt und geehrt, dass Sie heute hier sind: Sie haben das Wort, liebe Frau Umlauf!
Herzlichen Dank!