Herzlichen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, heute bei Ihnen sprechen zu dürfen. Viel Europa in diesen Tagen! Gestern hat in Luxemburg der JI-Rat stattgefunden – wir haben uns unter anderem mit dem Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention befasst. Ich konnte gestern das erste Mal die Europäische Staatsanwaltschaft besuchen und heute Vormittag den Europäischen Gerichtshof. Und jetzt bin ich hier zum wiederholten Male in der Europäischen Rechtsakademie.
Es ist Europa, das man in dieser Region der vier Länder, im Kernland der europäischen Idee, überall spürt. Und man spürt es ganz besonders, wenn man – wie ich – in Rheinland-Pfalz lebt. Ein Land, das sich selbst als Mitte Europas und guter Nachbar und als deutsche Wiege der Demokratie versteht. Das hat mich geprägt: für Europa und die Demokratie einzustehen und zu werben!
Es freut mich natürlich also sehr, dass die ERA hier in Trier ihren Sitz hat, in der Nähe zur Gerichtshauptstadt der Europäischen Union, zu Luxemburg.
Das ist gewiss kein Zufall. Es waren eben auch rheinland-pfälzische Europäer, die diese Europäische Rechtsakademie hier konzipierten: der damalige Justizminister des Landes, Peter Caesar; Horst Langes und Willi Rothley, Mitglieder des Europäischen Parlaments, ebenfalls aus Rheinland-Pfalz; und der Trierer Europarechtler Peter-Christian Müller-Graff.
Meine Damen und Herren,
wenn es die ERA nicht schon gäbe, müsste man sie heute dringend schaffen. Damals, 1992, in Jahren der Erweiterung der EU, wurde die Akademie gegründet, um die immer größere Reichweite europäischer Gesetzgebung in die Einzelstaaten hinein zu vermitteln. Es war klar: Anwältinnen und Anwälte, Richterinnen und Richter, andere Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender brauchten regelmäßige Fortbildungen und ein Diskussionsforum, um stets auf dem neuesten Stand zu sein. Heute brauchen wir Institutionen und Vermittler wie Sie, um zu verteidigen, was uns im Innersten zusammenhält. Denn was ist es, was uns in Europa zusammenhält, was uns ausmacht? Was ist der Kern des Europäischen? Es ist ja nicht die Sprache; es ist nicht die Kultur, die in den europäischen Ländern zwar jeweils erkennbar europäisch ist – aber eben zugleich vielfältig, faszinierend reich, wunderbar verschieden.
Es sind unsere gemeinsamen Werte: die Art, wie wir zusammenleben wollen. Es ist die Würde, die wir jedem Menschen zusprechen, Gleichheit und Freiheit und Frieden. Über diese Werte hat Europa zusammengefunden. Und deshalb ist der Kern dessen, was uns zusammenhält, das Recht; und der Wille, sich ans Recht zu halten: weil wir die Rechte und Freiheiten gerade auch der Schwächeren, der Minderheiten, schützen wollen.
Der Wille, sich ans Recht zu halten, muss auch dann gelten, wenn das Recht den eigenen politischen Zielen Grenzen aufzeigt, oder dann, wenn Mehrheiten etwas erreichen wollen, was die Rechte von Minderheiten verletzt. Und auch dann, wenn man findet, Recht und Wirklichkeit passten nicht mehr gut zueinander, muss das Recht befolgt werden. Dann kann man es ändern, mit Mehrheiten – aber niemals darf es als legitim gelten, das Recht zu ignorieren, meine Damen und Herren!
Recht ist nicht nur dann zu beachten, wenn das leichtfällt.
Sich ans Recht zu halten, sich an Entscheidungen und Urteile der Gerichte zu halten, ob auf europäischer Ebene oder auf nationaler – das ist eine zivilisatorische Errungenschaft unserer Demokratien. Diese Errungenschaft, meine Damen und Herren, steht allerdings in Europa und weltweit unter Druck. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass Verfassungsgerichte unter Druck gesetzt werden. Sie sollen vom Beschützer der Verfassung zum Erfüllungsgehilfen eines vermeintlichen Volkswillens werden. Wir sehen, dass in unseren Gesellschaften Gerichte, Richterinnen und Richter hasserfüllter Kritik und Drohungen ausgesetzt sind; dass Gerichtsurteile unter Berufung auf einen vermeintlichen Volkswillen für illegitim erklärt werden.
Wir sehen, dass auch in der ältesten Demokratie der Welt der Rechtsstaat unter Beschuss genommen wird und Richterinnen und Richter, Anwältinnen und Anwälte unter Druck geraten. Das ist übrigens einer der Gründe, warum wir die Convention for the Protection of the Profession of Lawyers des Europarats unterstützen und möglichst bald zeichnen wollen. Ich glaube dennoch, wir können sagen, dass dieser Druck, von innen und von außen, uns in Europa gerade an unsere Gemeinsamkeiten erinnert: Unser Ziel ist ein Leben in Recht, in Freiheit und in Menschlichkeit!
Wir stehen geschlossen hinter der Ukraine und stehen zusammen gegen die Verbrechen, die Russland dort begeht. Wir arbeiten gemeinsam dafür, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden – damit das Völkerrecht diese offene Herausforderung besteht und am Ende stärker dasteht als zuvor.
Ich bin überzeugt: Wir werden all diese Versuche, das Recht zu schwächen und den Rechtsstaat auszuhöhlen, abwehren. Die demokratischen Rechtsstaaten werden diesem Druck standhalten, und sie werden ihn überstehen. Aber wir müssen etwas dafür tun. Wir dürfen uns nicht auseinandertreiben lassen und wir müssen jenen Bedrohungen des Rechts auf verschiedenen Wegen begegnen. Einer davon ist Ihr Weg, ist Ihre Arbeit, das Ethos der Europäischen Rechtsakademie, meine Damen und Herren!
Es ist beeindruckend, was Sie leisten, indem Sie Juristinnen und Juristen nicht nur aus Europa zusammenbringen und schulen. Im letzten Jahr waren es über 9.200 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Angehörige anderer Rechtsberufe aus 66 Staaten – die höchste Zahl jemals –, die an über 195 Schulungen und Konferenzen teilgenommen haben.
- Sie fördern die einheitliche Anwendung des EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten und das wechselseitige Verständnis für unterschiedliche Rechtssysteme und Rechtskulturen.
- Sie stärken das Vertrauen zwischen nationalen Justizsystemen und erleichtern so die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
- Sie vermitteln EU-Grundrechte, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wege zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz und vieles mehr.
- Sie unterstützen die EU-Beitrittskandidaten auf ihren Wegen zur Rechtsstaatlichkeit.
- Sie bereiten Justizfachkräfte auf die Herausforderungen der digitalen Ära vor, auf die Nutzung von KI und elektronischen Beweismitteln.
- Sie haben gerade auch die junge Generation von Juristinnen und Juristen im Blick – indem Sie Ihre Schulungsprogramme für die Digital Natives passend machen.
- Und: Sie haben bei all dem von Beginn an eine enge Zusammenarbeit mit dem Europäischen Gerichtshof etabliert.
Meine Damen und Herren,
die Arbeit, die Sie hier leisten, gibt Zuversicht: So hält Europa dem Druck stand und bewahrt seine Identität – zu der die Idee des Rechts und der rechtlich begrenzten Macht wesentlich gehört. Aber – bei all dem Einsatz und der Wirkung, die Sie haben: Darauf dürfen wir vertrauen, aber darauf dürfen wir uns nicht ausschließlich verlassen: Es braucht uns alle – und zwar nicht nur die Juristinnen und Juristen, sondern jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin, jung und alt.
Und dazu gehört nicht nur, in Europa und weltweit den Gedanken des Rechts und der Würde aller Menschen zu verteidigen und zu verbreiten. Wir müssen den Menschen auch die Bedeutung und den Wert Europas für ihr tägliches Leben vermitteln, die Leidenschaft, dafür einzutreten: für die europäische Erfolgsgeschichte von Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit und ich wünsche Ihnen von Herzen allen Erfolg!
Vielen Dank!