Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
Funke: Frau Hubig, Sie kennen das Justizministerium, waren Staatssekretärin bei Heiko Maas. Was ist jetzt Ihr wichtigstes Vorhaben?
Ich habe übrigens schon vor 25 Jahren im Justizministerium gearbeitet, angefangen als Referentin im Mietrecht. Und das Mietrecht ist jetzt auch wieder auf der Agenda. Besonders am Herzen liegt mir außerdem der Schutz vor Gewalt – in all ihren Varianten: digitale Gewalt, Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte, ganz besonders auch Gewalt gegenüber Frauen. In Deutschland ist es erschreckend alltäglich, dass Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern brutal angegriffen werden.
Wie wollen Sie das ändern?
Wir werden das Gewaltschutzgesetz so anpassen, dass Familiengerichte bundesweit die Fußfessel nach dem spanischen Modell anordnen können: Der Täter muss ein GPS-Gerät tragen und die Frauen bekommen auf Wunsch ein Empfangsgerät, das anschlägt, wenn sich der Täter in ihrer Nähe befindet. Mit einer einzelnen Maßnahme werden wir das Thema häusliche Gewalt allerdings nicht in den Griff bekommen. Da muss sich niemand etwas vormachen. Daher werden wir Familiengerichte auch dazu ermächtigen, Anti-Gewalt-Trainings anzuordnen. Außerdem will ich den Gewaltschutz im Sorge- und Umgangsrecht verbessern.
Konkret?
Wir müssen klar im Gesetz festschreiben: Bei Gewalt gegen den anderen Elternteil kann auch der Umgang mit dem Kind beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden. Denn das Kind leidet ja mit, wenn der Vater die Mutter verprügelt. Deshalb muss klar sein: Wer seine Partnerin schlägt, muss damit rechnen, dass er sein Kind nicht mehr sehen darf – oder nur im Beisein einer Begleitperson. Kinder haben ein Recht darauf, in einem gewaltfreien Umfeld aufzuwachsen.
Meinen Sie damit nur körperliche Gewalt?
Da muss man zwischen den Maßnahmen unterscheiden. Bei der Fußfessel geht es um Hochrisikofälle. Eine Anordnung kommt also nur in Betracht, wenn konkrete Gefahr für Leib, Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung besteht. Eine Einschränkung des Sorge- und Umgangsrechts kann auch wegen psychischer Gewalt gerechtfertigt sein - zum Beispiel wegen schwerer Beleidigungen oder Bedrohungen.
Richtig kompliziert wird es, wenn Täter und Opfer zusammen eine Wohnung gemietet haben …
In der Tat. Familiengerichte können schon heute Opfern von Gewalt die gemeinsame Wohnung alleine zuweisen. Aber viele Betroffenen wollen den Neuanfang in einer anderen Wohnung. Das ist häufig eine Nervenprobe. Oft dauert es zu lange, aus einem gemeinsamen Mietvertrag mit dem Ex-Partner herauszukommen. Wir prüfen daher, wie wir als Gesetzgeber eine solche Situation verbessern können. Mein Ziel: Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist, muss so schnell wie möglich aus einem gemeinsamen Mietvertrag herauskommen - auch dann, wenn der Ex-Partner sich stur stellt.
Sehen Sie Mehrheiten für all diese Maßnahmen?
Ja, die gibt es. Ich freue mich, dass auf Länderseite sowohl die Justizminister- als auch die Innenministerkonferenz unsere Initiative für den verstärkten Einsatz der elektronischen Fußfessel gleich aufgegriffen haben.
Die Innenminister haben auch über die Migrationswende debattiert. Hat Alexander Dobrindt Ihre volle Unterstützung, wenn er Schutzsuchende an der deutschen Grenze zurückweist?
Wir sind uns einig, dass diese Regierung gegen die irreguläre Migration vorgehen muss. Grenzkontrollen hat auch schon die letzte Bundesregierung durchführen lassen. Gleichzeitig müssen wir die europäische Asylreform umsetzen. Da arbeiten wir gut zusammen.
Sind die Zurückweisungen rechtens?
Das kommt darauf an. Nach europäischem Recht gilt: Wer an der Grenze einen Asylantrag stellt, darf nicht unmittelbar zurückgewiesen werden. Aber: Das europäische Recht lässt es zu, dass man in besonderen Situationen auf nationales Recht zurückgreift. Nur: Bisher ist es keinem Mitgliedstaat gelungen, vor dem EuGH erfolgreich begründen, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Sie zweifeln.
Wir haben drei Entscheidungen in Eilverfahren des Verwaltungsgerichts Berlin, die sagen: Die bislang vorgebrachte Begründung für die Anwendung nationalen Rechts reicht nicht aus. Das Innenministerium will hier nachliefern, darum geht es jetzt.
Dobrindt will so lange zurückweisen, bis der Europäische Gerichtshof einschreitet …
Das bleibt abzuwarten. Wir werden sehen, ob es weitere Gerichtsentscheidungen gibt, wie diese ausfallen und welche Konsequenzen daraus möglicherweise zu ziehen sind.
Gibt es Grund, an Kompetenz und Neutralität der Berliner Verwaltungsrichter zu zweifeln?
Nein! Wer das tut, sät Zweifel an unserem Rechtsstaat. Die Berliner Richterinnen und Richter haben massive Drohungen bekommen. Das ist absolut inakzeptabel. Wir stellen uns vor die unabhängige Justiz. Wir dulden keine Einschüchterungsversuche. Und selbstverständlich befolgt die Bundesregierung die Gerichtsentscheidung: Die drei Antragsteller aus Somalia, um die es hier geht, erhalten nun Zugang zum Dublinverfahren, wie es das europäische Recht vorsieht.
Frau Ministerin, so unterschiedliche Politiker wie JD Vance und Sahra Wagenknecht sehen die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht. Was entgegnen Sie?
Das stimmt schlichtweg nicht. Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit – und damit auch die Freiheit zu Kritik, Polemik und Zuspitzung. Und wir leben in einer Zeit, in der solche Meinungen ja auch viel zu hören sind. Die Meinungsfreiheit kennt allerdings Grenzen: Beleidigungen, Bedrohungen, Einschüchterungen sind nicht gedeckt.
Umfragen scheinen Vance und Wagenknecht zu bestätigen: Mehr als 40 Prozent der Deutschen haben das Gefühl, sie könnten nicht mehr frei sagen, was sie wollen …
Und sagen es – mit dem vorgeschobenen Satz: Das darf man ja nicht mehr laut sagen…Das ist paradox. Sprache entwickelt sich. Das war schon immer so. Da sterben Formulierungen aus, andere werden neu erfunden. Aber das ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass alle gutheißen, was man sagt. Denken Sie an das Gendern: Man kann sprechen, wie man mag, muss aber damit rechnen, dass andere das doof finden.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sagt: Wer Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch sieht, wird in unserem Land als Putin-Versteher diffamiert. Wie ordnen Sie das ein?
Ich bin überzeugt: Wir brauchen in der Gesellschaft mehr Räume, wo wir einander zuhören und uns ernsthaft mit anderen Meinungen auseinandersetzen. Man muss die Meinung von anderen ertragen, auch wenn sie einem nicht gefällt. Wir dürfen Andersdenkende nicht abkanzeln. Das gilt auch für Fragen von Krieg und Frieden.
Dann müsste das Russland-Manifest der SPD-Linken ganz in Ihrem Sinne sein.
Auch das Manifest ist Ausdruck von Meinungsfreiheit. Die SPD ist eine Partei, in der unterschiedliche Meinungen gelebt und vertreten werden. Es gibt die Linie von Lars Klingbeil, Saskia Esken und Boris Pistorius - und die auch ich und die Regierung mittragen: Wir müssen die Ukraine gegen den russischen Aggressor unterstützen und zwar auch mit Waffen. Es gibt aber auch Menschen in unserer Partei, die aus der Friedensbewegung kommen und einen anderen Blick darauf haben. Das müssen wir respektieren. Die Dinge sind nicht nur schwarz oder weiß.
Sehen Sie Handlungsbedarf, um die freie Meinungsäußerung in Deutschland zu schützen?
An einer Stelle wollen wir rasch handeln: Wir beobachten in anderen europäischen Staaten, dass sogenannte Einschüchterungsklagen zunehmen: Da werden Organisationen, Vereine, Journalistinnen und Wissenschaftler mit missbräuchlichen Klagen überzogen, und zwar so massiv, dass sie hauptsächlich damit beschäftigt sind, sich zu verteidigen und das zu finanzieren. Damit sollen sie mundtot gemacht werden. Auf europäischer Ebene gibt es nun eine Richtlinie, um Betroffene vor solchen missbräuchlichen Klagen besser zu schützen. Diese Richtlinie will ich jetzt zügig in deutsches Recht umsetzen. Mein Ziel: Dass sich der Trend von missbräuchlichen Klagen in Deutschland erst gar nicht durchsetzt.
Versperren Sie damit nicht den Rechtsweg?
Nein, die Klagemöglichkeit bleibt bestehen. Aber wenn das Gericht eine missbräuchliche Klage erkennt, kann es Hürden für den Kläger einbauen, etwa durch höhere Gebühren. Außerdem sollen solche Verfahren schneller erledigt werden und die Kläger sollen den Beklagten die Kosten zur Abwehr der Klage in erweitertem Umfang ersetzen müssen. Gerichtsverfahren dürfen nicht dazu missbraucht werden, Menschen, die sich öffentlich engagieren, das Leben schwerzumachen.